Seit mehr als drei Jahrzehnten richtet sich die Aufmerksamkeit der Kunstfachwelt wiederholt auf das Werk der dänischen Malerin Pia Andersen. Gebannt blickt man auf die Arbeiten, deren von Licht durchfluteten reliefartigen Oberflächen aus allen Farben des Spektrums gewebt zu sein scheinen und deren fremd-vertraute Formen uns mit einer Mischung aus Abstraktion und Figuration anlocken. Wer das Glück hatte, den Werdegang der Künstlerin über die Jahre oder sogar von Anfang an verfolgen zu können, der steht heute als Augenzeuge eines fortwährenden kreativen Abenteuers, dessen Ziel sich am besten als Entfaltung der Farbe und Einfangen des Lichts beschreiben lässt.
Pia Andersens künstlerische Begabung fiel früh auf. Bereits ihre ersten, noch blassen Arbeiten auf selbstgeschöpftem Papier haben ernstes fachliches Interesse geweckt. Auch die darauffolgende Entwicklung ihrer Karriere blieb nicht unbemerkt und wurde wiederholt öffentlich thematisiert und analysiert. Es wurde viel geschrieben, beschrieben und besprochen. Es existieren allerlei Kataloge, Interviews, Filme. Seit Jahren gilt Pia Andersen als eine renommierte, international anerkannte Künstlerin.
Es gibt sehr viel, was wir über die Künstlerin Pia Andersen wissen. Die Reviews Ihrer Ausstellungen sind zugänglich, die Kataloge mit soliden Beiträgen erschienen regelmäßig, es gab ausführliche Interviews und Künstlergespräche in allen Medien. Ihr Leben ist also im Großen und Ganzen kein Geheimnis. Inwiefern sich ihr Werk darin spiegelt, ist dagegen eine von vielen Fragen, mit denen wir - vor jedem Gemälde stehend - konfrontiert werden.
Geboren wurde Pia Andersen 1960 in Frederikshavn in Dänemark und verbrachte ihre Kindheit in der ländlichen Gegend. Ihre künstlerische Begabung wurde erst von Ihrem Vater entdeckt und später auch von den Kunstlehrerinnen gefördert. Sie durfte ihr Interesse für Kunst bei vielen Projekten ausleben und sich stets weiterentwickeln. Ein reines Kunststudium lag dennoch außerhalb ihrer damaligen Reichweite. Sie wollte mit eigenen Händen arbeiten und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.
Also hat sie sich nicht für die Royal Academy of Fine Arts entschieden, sondern für die School of Arts and Krafts in Kolding. Das Studium allerdings hat ihre Horizonte erweitert. Die 1980e Jahre bedeuteten den Aufstieg der neuen Künstlergeneration. Bei diesen Pionieren war auch Pia Andersen mit dabei. Auch wenn sie nie zu einer Richtung gehören wollte. Sie hat sich mit allen für sie interessanten Positionen der Vor- und Nachkriegsavantgarde auseinandergesetzt, blieb sich aber immer treu. Auch wenn der American Abstract Sublime und alles, was diese Richtiung beinhaltete, ihr sehr nah stand und sie sich gut damit auskannte, wollte sie nie rein abstrakt werden.
Vielmehr fühlte sie sich in den beiden Welten zuhause und suchte, das Geistige mit dem Emotionalen zu vereinen, das Informelle mit dem Figurativen. Die Natur, die einst ihr Weltbild formte, wurde zur Inspirationsquelle und prägte somit maßgeblich ihre Gesinnung und Gefühle. Es galt nun, nach den passenden Mitteln zu suchen. Das Handwerk zu perfektionieren stand daher ganz oben auf der Aufgabenliste.
Schon damals begann sie von Kunstwerken zu träumen, die haptisch wahrnehmbar werden sollten und deren Körper dreidimensional wirkten, ohne bloß illusionistisch zu sein. Sie wollte ihre Materialien beherrschen und erwog, diese selbst zu erschaffen. Dafür benötigte sie mehr Erfahrung und Inspiration. Beides fand sie überraschenderweise in Polen, wo sie an der Kunstakademie von Krakau ihre Ausbildung fortsetzte. Dort, in Osteuropa hat sie ganz neue Lebenserfahrung gewonnen und ihre Kunstausbildung enorm vervollkommnen konnte.
Sie arbeitete in verschiedenen Genres, meistens waren es Gattungsübergreifende Installationen aus verschiedenen, teilweise gefundenen, einfachen Materialien. Und endlich fand sie ihren eigenen Weg, in der Kunst und in der Welt. Beides war und ist immer noch eine ständige Bewegung.
Fast vier Jahrzehnte und ein großer Teil des Lebens liegen zwischen den majestätischen, strahlenden Werken dieser Ausstellung und den kleinformatigen, beinahe monochromen Papierarbeiten, die Künstlerin in ihrer ersten Einzelausstellung in dem Danish Center of Architecture in Kopenhagen im Jahre 1987 gezeigt hat.
Was sind denn diese Kompositionen, die ein starkes Gefühl vermitteln, aber nur wenig Klarheit geben. Deren Anziehungskraft nicht zuletzt darin besteht, dem Betrachter gleichzeitig vertraut und fremd zu erscheinen. Sie sind wie bildliche Denkanstoße, sinnlich unmittelbar wahrnehmbar, ohne dabei ein anhaltendes Wiedererkennen zuzulassen. Sie wecken starke Naturassoziationen, was durch einen gezielten Einsatz von Bildaufbau, Kolorit und Perspektive unterstützt wird. Es handelt sich unmissverständlich um die Natur.
Sind es also Landschaften? Vielleicht. Aber nur wenn von deren konkreten Zuordnung abgesehen wird. Und natürlich von der realistischen Detailtreue. Denn sie sind nicht greifbar. Sie entziehen sich jeder Lokalisierung. Sie lassen ahnen, ohne jegliche Details preiszugeben. Sie suggerieren, reizen und eröffnen dem Betrachter zahlreiche neue Perspektiven. Es gibt nichts Endgültiges darin. Sie sind nie statisch, sondern immer innerhalb der Situation wahrnehmbar, ihrer eigenen und der des Betrachters. Genauso wie die Natur selbst.
Jede Begegnung mit der Kunst von Pia Andersen ist zugleich eine Begegnung mit der Natur. Landschaft ist seit jeher zu dem persönlichen Prisma der Künstlerin geworden, durch das sie die Welt betrachtet und diese in ihrer Kunst wiedergibt.
Ihr Interesse an der Natur, wenn man von ihrer aufgeweckten, respektvollen Begeisterung dafür absieht, ist eher freundschaftlich-kooperativer Art. Weder fürchtet sie sich davor, noch ist sie starr vor Ehrfurcht. Sie beobachtet, erforscht und sucht darin nach den Regeln und Gesetzen, die sie selbst als Schaffende in ihrer Kunst anwenden kann. Es ist eine Arbeit, die so spannend und genussvoll ist wie ein Spiel, und so ernst und gründlich wie die Schöpfung.
Diese Vorgehensweise basiert auf dem Kunstverständnis, das von einer Art Analogie zwischen Prozessen in der Kunst, ja Malerei und denen der Natur ausgeht.
Pia Andersen errichtet ihre Arbeit im Bewusstsein der permanenten Korrespondenz zwischen sich selbst und ihrer Umwelt, die ihr notwendig und unvermeidlich erscheint, um den Prozess der Entstehung des Kunstwerks gestalten und beenden zu können.
Die Idee der Einheit und Untrennbarkeit von Kunst und Natur begleitet den Malprozess Pia Andersens und manifestiert sich in jedem einzelnen Werk. Insofern überrascht es nicht, dass die Künstlerin sich der Landschaft bedient, um dieser Idee Gestalt zu geben. Sie wählt Landschaft als Sujet, um die Vielfalt der Wechselbeziehungen zwischen Natur und Menschen zu thematisieren. Deshalb produziert sie auch keine Abbildungen oder detailgetreuen Kopien der gesehenen Umgebung. Vielmehr appelliert sie an unsere Sinne und offerieret mit ihren Werken eine Vielfalt von Möglichkeiten, auf die Natur zu reagieren, sie wahrzunehmen.
Denn kein gemaltes Landschaftsbild gleicht der von ihm abgebildeten Landschaft. Keine Detailtreue kann die adäquate Erfahrung zutage fördern. Genauso wie das bloße Sehen nie dem gesamten Wahrnehmen identisch sein kann. Ein Bild vom Meer zu sehen ist nicht dasselbe wie dessen kühles Wasser zu spüren oder die salzige Brise einzuatmen oder sich von den Wellen treiben zu lassen. Nicht mal dann, wenn wir es von der gleichen Stelle aus betrachten, an der der Künstler stand, um es zu malen. Auf der anderen Seite wird auch ein gemaltes Bild nie auf die gleiche Weise von seinem Schöpfer wie von seinen Betrachtern wahrgenommen.
Das Werk Pia Andersens markiert die Sehnsucht der zeitgenössischen Künstler nach einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit der Natur, die sie weitgehend als Metapher für Kunst begreifen. Sie betrachten die Schöpfungsprozesse der Natur und Schaffensprozesse in der Kunst, wenn auch nicht als ganz identisch, doch zumindest als einander ähnlich und vergleichbar. Sie suchen nach Parallelen und entdecken - als Landschaftsmaler - ihre Eignung, die geistigen und emotionalen Botschaften zu verbinden. In dieser Neuentdeckung der Landschaft verschwindet die einstige Distanz zur Natur, die es nun zu erforschen und zu studieren gilt. Weder fremdeln sie mit der Natur noch versuchen sie, deren Rolle selbst zu übernehmen. Sie suchen nach der Balance zwischen aufmerksamen und nüchternen Beobachtungen ihrer Umgebung und eigener emotionaler Ergriffenheit, die sie hervorruft. Dieses Verlangen, das Denken mit dem Empfinden, die Materie mit dem Geist harmonisch zu vereinen, mündet in unzähligen künstlerischen Experimenten und Sichten, die wir in der heutigen Kunst insbesondere in der Gattung Landschaftsmalerei finden, deren würdige Vertreterin Pia Andersen ist.
 
 
               
               
               
 
 
 
 
 
 
